Liebe Leser,
wie so oft, wenn man etwas nicht auf dem Plan hat, entpuppt es sich als wahrer Gewinn. So auch mit unserem Besuch auf in Ponta Delgada auf der Azoreninsel São Miguel. In Horta hatten sich einige andere Segler, die schon einmal dort waren, gewundert, dass wir auf der Insel halten wollen. Insbesondere Ponta Delgada sei zu städtisch, habe keinen Charme und ein Stopp würde sich schon gar nicht lohnen, wenn man zuerst auf Faial gewesen und die besondere Stimmung in Horta genossen hat.
Wir wollten die Segelstrecke zum europäischen Festland (womit unser Ziel England nun in mehrerer Hinsicht unzureichend beschrieben ist) verkürzen, immerhin 150 Seemeilen, aber auch Freunde besuchen, was immer ein guter Grund ist.
Der Weg hierhin war kein schönes Segeln. Kein wirklich schlechtes, aber eben auch kein angenehmes. Wind immer auf die Nase, segeln hoch am Wind mit allen Hüpfereien, die es mit sich bringt. Unser Schiff hatte unter Windsteuerung einen so schlechten Wendewinkel, dass uns letztlich nichts übrig blieb, als 40 Meilen vor dem Hafen den Motor anzuwerfen, um überhaupt nach São Miguel zu gelangen. Sonst wären wir wohl irgendwann am Südpol gelandet. Und dafür haben wir nun wirklich keine Klamotten an Bord!
Wegen der für uns recht kurzen Strecke hatten wir gar keine richtige Seekoje eingerichtet, uns nur ein bisschen auf dem Sofa aufs Ohr gehauen. Als klar wurde, dass wir die Insel mit einer Nachtfahrt nicht erreichen werden, wenn wir nicht die ganze Zeit gegen die Welle motoren wollen, wurden die Gesichter ziemlich lang. Die zwei ersten Tage auf See sind immer die unangenehmsten: Der Körper hat sich noch nicht an den Seegang (in meinem Fall) und den Wachtakt gewöhnt, immer wieder drohen wir am Ruder einzuschlafen. Kochen macht nicht soo viel Spaß und wenn man weiß, dass man dann eh bald ankommen wird, kommt einem der ganze Aufwand, wie eben eine Seekoje fertig zu machen, irgendwie unverhältnismäßig vor. Wahrscheinlich fehlt mir da etwas Disziplin … Noch mäßig begeistert von den Erlebnissen auf der Atlantiküberquerung und dann mit der Aussicht, dass sich die Insel „nicht wirklich lohnt“, wollen die Stunden nicht vergehen.
Und dann gab es da noch so ein Wendemanöver, bei dem mir fast das Herz stehen geblieben ist: Plötzlich kreuzt ein Grindwal unseren Wendekurs. Wir haben so einige Wale auf unserer gesamten Tour gesehen und dieser hier war mit seinen vier oder fünf Metern Länge definitiv der kleinste, aber auch der neugierigste. Mit Walen habe ich ein eher gespaltenes Verhältnis. Sie faszinieren mich und ich finde sie unglaublich schön und majestätisch – wenn sie auf Abstand bleiben. Als wir bei Flaute auf dem Atlantik auf vermutlich zwei Grauwale getroffen sind, die sich an der Oberfläche gesonnt und munter geprustet, sonst aber gar nichts gemacht haben, wäre Johannes vermutlich so nah ran gefahren, wie es nötig ist um ein schönes Foto zu machen und sie gleichzeitig nicht zu stören. Bei mir legt sich ein kleiner Schalter um. Als Langfahrtsegler hört man viele Geschichten von Kollisionen mit umhertreibenden Müll, Containern oder eben auch Walen, die an der Oberfläche schlafen und das herankommende Segelschiff gar nicht bemerken. Auf den Azoren haben wir einen Ruderbruch von ersterem ansehen können und es verwundert uns gar nicht, so viel Müll treibt auf dem Atlantik herum. Das größte Objekt war eine komplette Holztür und wir haben jeden Moment erwartet, dass der Komiker Otto sie öffnet und auftaucht. Container haben wir glücklicherweise nie gesehen. Johannes hat allerdings Freunde, deren Yacht leider von einer Kollision versenkt wurde und beim Anblick der voll beladenen Frachter wird deutlich, dass Unmengen von Containern im Meer schwimmen müssen, die bei schlechtem Wetter sogar runterfallen sollen, damit der Frachter nicht kentert. Auf den Azoren haben wir mittlerweile die zweite Crew kennengelernt, die eine Begegnung mit einem Wal hatte. In beiden Fällen ist es wirklich glimpflich ausgegangen, trotzdem ist es mir immer nicht geheuer, wenn so ein Wal dicht an unserem Boot auftaucht. Und vor allem nicht voll in unserem Wendekurs! Natürlich ist nichts passiert.
Nach 200 statt geplanten 150 Seemeilen sind wir in Ponta Delgada angekommen, der Hauptstadt der Azoren. Tatsächlich ist dieser Ort kaum mit Horta auf Faial zu vergleichen. An der Marina führt eine große Straße mit viel Verkehr vorbei, es gibt ein großes Shoppingcenter und immer wieder donnern Flieger zum nahe gelegenen Flughafen über die Boote hinweg. Das berühmte „Peter Café Sport“ hat hier eine Merchandisingfiliale. Einen Gin Tonic kann man dort nicht bekommen, wohl aber eine Tasse oder ein atlantiküberquerergerechtes Outfit. Wir mögen städtisches Treiben und Geschäftigkeit, wobei Ponta Delgada mit alten Häusern und engen Gassen immer noch herrlich portugiesisch daherkommt und bodenständig bleibt. Schließlich hat die Stadt nicht mal 20.000 Einwohner, eine Anzahl, die den Begriff „Stadt“ in Deutschland oft nicht einmal rechtfertigt.
Dass Seglern São Miguel nicht so richtig gefallen mag, können wir bald kaum noch verstehen. Am ersten Abend auf der Insel lernen wir den hiesigen Trans-Ocean-Stützpunktleiter Victor kennen, der sich am darauffolgenden Tag viel Zeit nimmt, uns einen Teil der Insel zu zeigen. Victor stammt aus Georgien und hat mit seiner Frau Galina elf Jahre lang auf einem Katamaran die Welt besegelt. Seit 2011 leben sie auf São Miguel und wir sind völlig geplättet von dem Wissen, das Victor von Geschichte und Botanik der Insel hat. Wir sehen Surferstrände und alte Siedlungen, ein altes Wasserwerk und Wasserfälle in feuchter Dschungelumgebung, heiße Quellen und Heilbäder, Kirchen und azoreanisches Flair. Nur Vulkankrater konnten wir wieder nicht sehen. Zu viele Wolken.
Am Ende der Rundfahrt mit Victors Minibus, einem Mitsubishi L300, sind wir völlig geplättet von so vielen Eindrücken und von der tollen Insel. Und von Victor. Das Thema „TO“ ist in den letzten Jahren ein heiß diskutiertes, wobei wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Querelen in Deutschland den meisten Seglern auf Langfahrt herzlich schnuppe sind. Rabatte haben wir auf der Reise durch unsere Mitgliedschaft wirklich nicht oft bekommen und natürlich haben wir auch verlassene Stützpunkte angetroffen, wie zum Beispiel auf Union Island, wo es ein großes Schild, aber keinen TO gibt. Aber oft waren uns Stützpunktleiter eine große Hilfe, haben sich ihr Büro mit Paketen für uns zubauen lassen und uns herumgeführt, nach Hause eingeladen oder Obst aus dem eigenen Garten geschenkt (übrigens waren die Mangos aus dem Garten des Stützpunktleiters aus Miami die besten der gesamten Reise!). Jetzt zuletzt Victor, den wir nicht kannten und der nichts anderes im Sinn hatte, uns die Schönheit „seiner“ Insel zu zeigen.
Das hat er geschafft. Wir kämpfen hart damit, ob es uns nun besser auf Madeira oder São Miguel gefallen hat. Faial ist da fast schon außen vor. Nur eins ist sicher: Die portugiesischen Inseln haben es uns einfach angetan.
Cati