Die letzten Tage waren recht ereignislos. Mal abgesehen von einem dicken Tief, das am vergangenen Mittwoch über uns hinweg gezogen ist und der Crew ein paar Sorgesfalten auf die Stirn gebracht hat. Der Wind war gar nicht so schlimm, nur bis etwa 35 Knoten und in einer Böe mal knapp über 40 Knoten. Aber die damit verbundene See und Schiffsbewegungen waren ungewohnt bis beängstigend. Sammy erschien eines Nachts eine Viertelstunde verfrüht zur Wache. Auf die Frage hin, warum er denn nicht noch ein bisschen länger schläft, erwiderte er nur knapp „Ich will nicht da unten sein, wenn sie auseinander bricht …“
Sammy und Jens schlafen in den Vorschiffskabinen und bekommen die Wellen noch etwas intensiver mit, als wir in den Achterkabinen. Jens ist immer wieder begeistert von den G-Kräften, die auftreten. „Wenn du da in der Koje liegst und merkst, wie der Bug abhebt … dann kracht er auf die Welle und du merkst, wie rechts und links von der Matratze vorbei Luft nach oben gedrückt wird … Dann in der Talfahrt drückt es dich plötzlich wieder mit Schmackes ins Kopfkissen, um dann drei Sekunden später auf dem Wellenberg wieder kurz daraus abzuheben … Irre.“ Toll findet er es auch, „wenn man an der Notausstiegsluke auf dem Klo Land unter ist und man gegenüber unter Wasser den Bug sehen kann.
Der Wind kommt seit Tagen mit einem Einfallwinkel von 70 bis 120 Grad von Steuerbord, die Wellen krachen immer wieder von der Seite über das Schiff, sodass wir bis zum Aufbau eintauchen. Das Wasser spült an beiden Seiten vorbei und geht achtern zurück in die See. Alles an Deck ist ständig nass. Aber unter Deck sind keine Leckagen zu finden. Toll, dass das Schiff und alle Dichtmassen nach all den Jahren in der Sonne noch wirklich dicht sind.
Sammy entwickelt immer wieder neue Taktiken, wie er die beiden Kissen am besten positioniert, damit er nicht zu oft von einer seitlich anlaufenden See „auf die Schnauze“ bekommt. „Wäre gut, das zweite Kissen an der Decke anzunageln“ Neulich berichtete er, wie er in der Koje liegt und es heftig an der Bordwand knallt. „Kurz darauf wurde das Luk über mir komplett mit Wasser eingedeckt, bis es in meiner Kabine komplett dunkel wurde. Durch das Fenster sehe ich nur Wasser, Wasser, Wasser und denke: Jetzt geht es zu Ende. Doch dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, sehe ich, wie die Sonne durch das Wasser hindurch scheint. Was für ein befreiendes Gefühl. Wir sind noch einmal davongekommen.“
Ansonsten läuft es wirklich hervorragend. Der Autopilot steuert seit dem Verlassen der Bermudas ununterbrochen und das Schiff macht überhaupt keine Probleme. Auch die Strombilanz ist gut, die Batterien immer voll und der Watermaker produziert ohne Ende kostenlos Wasser. Scheint, als würden sich alle Arbeiten bezahlt machen. Vorgestern haben wir Routinemäßig die Maschinen laufen lassen, um sicher zu gehen, dass sie über die Abgasanlagen kein Wasser abbekommen haben. Aber alles in Butter.
Die guten Winde zwischen 18 und 25 Knoten bescheren uns schnelle Fahrt. Die Etmale sind hervorragend. In den letzten Tagen 184, 162, 168 und 169 Seemeilen, ohne das Boot groß zu jagen. Im Gegenteil, wir segeln mit reduzierter Segelfläche, drittem Reff im Groß und halber Genua, um das Material zu schonen. Trotzdem zeigt die Logge meist zwischen 7 und 8 Knoten.
Die Crew liest viel, hört Hörbucher, bloggt (Michis Blog: ueberdenatlantik.blogspot.com) oder schaut mit wachsender Begeisterung auf das Meer hinaus. Denn das ist ja das Schöne an so einer Atlantiküberquerung: Fernab von allen zu sein. Mitten auf dem Ozean. Tausende Kilometer in jede Richtung höchstens ein paar einzelne Menschen auf Schiffen, aber kein Land, keine Zivilisation. Eine tolle Zeit, um abzuschalten und nachzudenken. Für Jens ist es die zweite Atlantiküberquerung und er sprach neulich aus Erfahrung: „Man kommt von so einer Reise nie als derselbe zurück.“
In den Nachtwachen haben wir uns mittlerweile eingegrooved und werden sogar langsam ohne Wecker wach. In der Pantry haben wir ein großes Glas (bestimmt ein Liter Inhalt!) Brühepulver gefunden, das Cati manchmal zum Kochen braucht. Mittlerweile ist es fast leer, weil wir jede Nachtwache ein paar Tassen davon versaufen. Mache mir schon langsam Sorgen, wie ich nach Erreichen von Horta von dem Zeug wieder runterkomme … 😉
Nun liegen seit den Bahamas bereits fast 2000 Meilen hinter uns und nur noch 707 Seemeilen bis Horta vor uns. Zwei Tiefdruckgebiete haben sich zwar in den letzten Tagen angekündigt, ziehen nun aber doch weiter im Norden durch, sodass wir maximal bis 30 Knoten Wind von schräg achtern zu erwarten haben. Perfekt, um weiter schnelle Fahrt zum Ziel zu machen. So wie es im Moment aussieht sollten wir am Donnerstagmorgen dort sein. Wir freuen uns auf die Ankunft und das erste Bier in Peters Cafe Sport. Wahrscheinlich werden wir dort an der Promenade sitzen, alles wird sich drehen und schaukeln und wir werden sofort einen im Kahn haben, denn auf See gibt es hier keinen Alkohol an Bord …
Cati bucht bereits Flüge, um in Horta wieder zu uns zu stoßen. Ich bin gespannt, was sie von der Zeit in Deutschland zu erzählen hat und wie dick ihr Bauch mittlerweile geworden ist.
Viele Grüße von „Maverick XL“ auf 36, 28 N und 043, 15 W!
Johannes