Eine Sache, die mir an den Bahamas besonders gut gefällt, sind die Überbleibsel der Vergangenheit. Von Versuchen die Inseln zu Touristenzielen zu machen. Ein Bestreben, das auf fast keiner Insel je Früchte getragen hat.
Spuren jener Zeit, in der große Bauprojekte gestartet wurden um Stars und Sternchen Rückzugsorte unter Ihresgleichen zu schaffen, sind auf manchen Inseln noch zu finden. Alte, verfallene Hotelkomplexe und Marinaanlagen. Flughäfen mit spröden Landebahnen, durch deren Asphalt die natürliche Vegetation ihren Weg bahnt und Häuser, die Stück für Stück durch Hurrikans und natürlichen Verfall zerlegt werden. Gebäude, die langsam wieder zu Erdboden kompostieren.
Great Harbour Cay ist ein ganz spezielles Beispiel. Die Insel liegt ganz im Norden der Inselgruppe. Das ist auch der Grund, weshalb wir vor einer Woche hier gelandet sind, denn der Ankerplatz vor der Westküste der Insel stellte den erstmöglichen Stopp auf der 60 Meilen langen Etappe von der großen Insel Grand Bahama zu den Berry Islands dar.
Eigentlich wollten wir nur ein, zwei Tage hier liegen. Wir wussten auch gar nicht viel von der Insel, nur dass ein wenig nördlich unseres Ankerplatzes ein altes Flugzeug auf Grund liegt und es auf der Ostseite tolle Sandstrände geben soll. Das Wrack wollten wir erschnorcheln und die Strände anschauen. Aber dann kam alles anders: Cati lag einige Tage mit einer Erkältung in der Koje, die sie beim Durchzug einer Kaltfront eingefangen hat. Vier Tage saßen wir an Bord, ohne die Insel einmal mit dem Dingi besucht zu haben. Cati kurierte ihre Erkältung, ich nutzte die Zeit um zu arbeiten und Geld zu verdienen.
Vergangenen Freitag zog dann ein Wintersturm über die Bahamas hinweg und unser Ankerplatz wurde mit der Felsküste in Lee zur Falle. Für Sonntag war ein zweiter Sturm angekündigt. Da es hier im Umfeld keinen geschützten Ankerplatz gibt (außer auf der Ostseite, 20 Meilen Umweg entfernt) investierten wir das verdiente Geld gleich wieder für drei Tage in der Marina, einem Hurrican-Hole – und bekamen erstmals die Gelegenheit, die Insel zu erkunden. Denn zwischen zwei Stürmen herrschte am Samstag einen Tag lang wunderbares Wetter. Also liehen wir uns zwei der kostenlosen Fahrräder in der Marina, um die Insel zu erkunden.
Ich hatte gehört, dass es im Norden der Insel ein altes, verfallenes Hotel geben sollte, das ich mir gerne anschauen wollte. Wir mussten ganz ordentlich in die Pedale treten, um ganz in den Norden der Insel zu fahren. Das Hotel selbst war leider eine kleine Enttäuschung, denn es war derart von der Vegetation überzogen, dass es kaum möglich war ohne Machete ins Innere zu gelangen. Aber der Sugar-Beach nebenan entpuppte sich als einer der schönsten Strände, den wir je gesehen haben. Meilen lang und mit gleißend weißem, schaumweichen Sand. Trotzdem völlig menschenleer, denn an der gesamten Küste gibt es nur einzelne Privat- und Ferienhäuser, von denen die meisten im Wintermodus verrammelt waren.
Am Abend begann ich mich ein bisschen über die Insel zu informieren und fand sogar ein kleines Buch über die Geschichte der Insel im Internet, das ein Bewohner verfasst hatte. Es ließ mich nicht mehr los und ich las es in einem Rutsch durch. Und dann hatte sie mich gefangen: Die Geschichte von Great Harbour Cay.
Die Insel ist die größte der Berry Islands und hieß ursprünglich Manalapan Island. Im Jahr 1836 wurden sie und umliegende Inseln von ehemaligen Sklaven besiedelt, die versuchten den felsigen Grund landwirtschaftlich zu nutzen. Mit geringem Erfolg. Nur eine Siedlung überlebte: Bullocks Harbour, vor der wir gerade ankern. Die Bewohner dieser Insel hatten die besten Chancen auf Subsistenzwirtschaft, weil die Insel als einzige Wasserquellen besitzt, während die Bewohner der umliegenden Eilande auf den Fang von Regenwasser angewiesen sind. Es war ein hartes Überleben, denn Hurrikans schlugen regelmäßig hart zu. Ende der 1960er Jahre nahm die Bevölkerung immer weiter ab, weil viele Bewohner nach Nassau übersiedelten.
Mitte der 60er Jahre jedoch kam ein großer Investor auf die Insel und änderte sogleich den Namen in Great Harbour Cay. Sein großes Ziel war, die Insel für den Nobeltourismus zu gewinnen. Innerhalb kürzester Zeit entstanden ein größerer Flughafen, ein Hotel und ein Golfclub mit 18 Löchern. Außerdem ein Beachclub, ein Marinakomplex für Schiffe bis 40 Metern Länge (damals: Megayachten!) und ein spektakuläres Restaurant direkt am Hafen. Hunderte Grundstücke wurden vermessen und weltweit als Bauorte exklusiver Ferienvillen vermarktet. Rund um die Marina entstanden Bungalows in mediterranem Stil. Insgesamt 38 Millionen Dollar wurden in die Entwicklung der Insel gesteckt, was heute gut dem sechsfachen entspricht. Alles Baumaterial musste schließlich per Schiff und Flugzeug auf die Insel geschafft werden.
Um die Insel bekannt zu machen und Grundstücke zu verkaufen, setzten die Investoren auf Prominenz, denen das Ferienidyll auf den Bahamas schmackhaft gemacht wurde. So gehörten neben vielen anderen Stars Brigitte Bardot und Cary Grant zu frühen Dauergästen der Insel, ebenso der deutsche Schauspieler Curt Jürgens. Zum Teil mit eigenen Häusern. Cary Grant gehörte sogar zu den Mitgründern des Restaurants „Tamboo“ direkt am Hafen, das mit seinem Panorama-Blick zu damaliger Zeit einfach ein Hammer gewesen sein muss.
Doch der Boom blieb aus und nach und nach zogen sich viele Investoren zurück. Häuser wurden verkauft, die Stars blieben aus. In den 70er und 80er Jahren ließen sich gar Drogenschmuggler auf der Insel nieder, die den Flughafen für ihre Lufttransporte nutzten. Aus dieser Zeit stammt das Flugzeugwrack vor der Küste.
Heute hat die Insel durch die vielen Ruinen einen ganz morbiden Charme und wirkt eher wie eine verschlafene Idylle als ein nobler Urlaubsort. Die edlen Entwicklungen von damals haben Patina angesetzt. Die Marina ist völlig intakt und funktionstüchtig, könnte aber mal ein wenig Farbe gebrauchen. Der Manager ist ein aufgeweckter Mann, der unter der Fahrtensegler-Community sehr beliebt ist, weil er eine Menge Programm organisiert. Barbeques unter Seglern, Jeder-Bringt-Was-Mit-Abendessen, Spielabende, … Es ist immer etwas los und viele Bootfahrer, die sich nur kurz mal einen Eindruck machen wollten, hängen seit Monaten in der Marina fest, weil es einfach zu schön ist um weiterzufahren.
Die meisten Erbauer der Privatvillen aus den 70er Jahren sind heute noch hier, inzwischen in Rente, und haben ebenfalls eine Gemeinschaft entwickelt. Während der alte Golfclub von 1966 heute vollkommen verfallen und in die natürliche Vegetation übergegangen ist, halten sie gemeinsam zumindest den Golfplatz in Schuss. Und mehr noch: Sie beziehen ihre Rente aus der ganzen Welt und bringen damit Geld auf die Insel, weshalb Great Harbour Cay auch wirtschaftlich auf stabilen Beinen steht. Die Insel wird alle drei Wochen von eine Postschiff angelaufen, so wie vergangenen Freitag. Und dann steht der Ort Kopf: Überall stehen Kisten und Güter, die Regale in den Supermärkten sind wieder voll und es fast alles erhältlich.
Nach dem Durchzug des Sturms haben wir uns gestern (zum Sparen von Marinakosten) wieder zurück an den Ankerplatz verholt und wollen in den nächsten Tagen auf die Ostseite der Insel verholen, noch einmal die tollen Strände genießen. Außerdem warten wir noch auf zwei Freunde aus New York, die mit ihrem Boot in Florida auf ein Wetterfenster für den Sprung über den Golfstrom warten.
Bis sie hier sind, werden noch drei Tage vergehen. Aber das passt gut, denn nachdem Cati kuriert ist, habe nun ICH mir eine Erkältung zugezogen. Keine Ahnung wie. Jedenfalls liege ich seit gestern in der Koje, huste und keuche und hoffe, dass ich zum Wochenende wieder fit bin. Erkältung in den Bahamas? Das ist irgendwie doof 😉
Hier nun einige Fotos von unseren Erkundungstouren durch das Sugar-Beach-Hotel und den alten Golfclub.