Die zweite Nacht in Elizabeth City liegt hinter uns. Während wir geschlafen haben, sind die Temperaturen hier in den Minusbereich gefallen. Das nasse Regenwetter gestern und die Kälte haben uns gezwungen unser Bett ab sofort wieder im Salon aufzuschlagen. Eine längst überfällige Entscheidung, denn wir wissen schon aus dem letzten Jahr, dass die Vorschiffskabine als Schlafplatz nicht mehr zu gebrauchen ist, sobald es kälter wird. Nicht etwa wegen der Temperatur – denn wir haben an unserem alten Liegeplatz genug Strom, damit wir das Boot mit dem Heizlüfter auf angenehme Wohlfühlwärme bringen können – sondern wegen dem Schwitz- und Kondenswasser, das sich bei anhaltender Kälte und Regen im Vorschiff sammelt. Weil wir die Decke nicht isolieren konnten, schlägt sich das Wasser dort nieder, tropft und läuft an den Wänden herunter und kriecht in die Matratzen und das Bettzeug. Gleichzeitig macht sich ein alter Bekannter breit: Schimmel. Keine gute Schlafstätte. „Maverick“ macht uns einmal mehr deutlich, dass sie nicht für die Kälte geeignet ist. So als würde sie sagen „Ihr habt Pläne für die hohen Breiten? Bitte, aber nicht mit mir!"
Wie gut, dass das wärmere Wetter in überschaubarer Entfernung liegt. Es fühlt sich immer noch an, als würden wir unterwegs sein. Obwohl wir eigentlich nicht wirklich weiter südlich angelangt sind, sondern nur wieder zurück an unserem Liegeplatz in Camden, an dem wir auch den Sommer verbracht haben. Das Gummientchen, das auf dem Plotter unsere Position angibt, hat auf der vergangenen Strecke mit dem Schnabel nach Süden gezeigt. Fantastique! „Super, fährt die Maverick denn jetzt schneller? Oder leiser? Oder fährt sie nur einfach wieder?", fragt ein Leser auf facebook. „Beides“, antwortet Johannes. „Schneller und leiser.“ Die Strecke von Irvington in Virginia, für die wir auf dem Hinweg mit dem alten Motor knapp vier Tage gebraucht haben, haben wir diesmal in nur zwei Tagen hinter uns gebracht. Schon der Probetörn über die Chesapeake Bay vor zwei Wochen hat uns gezeigt, dass wir alles richtig gemacht haben, den Motor zu tauschen. Und auch offensichtlich beim Einbau. Der Fahrt in den Süden steht also nichts im Wege, außer vielleicht … ja, mal wieder das Wetter und die vielen netten Menschen.
Vergangene Woche sind wir bei unseren Freunden Siggi und Hein Zenker Dauergäste gewesen. Die beiden sind in den Fünfzigern aus Deutschland ausgewandert und haben unter anderem zwischen 1963 et 1966 die Welt umsegelt. Und das auf nur 20 Pied. Wir können gar nicht genug bekommen von den vielen Geschichten, die uns die beiden zu erzählen haben. Johannes ist fasziniert von Reisen mit kleinen Booten und wir beide lieben Erzählungen von und über Segelpioniere. Was diese Menschen geleistet haben, ist in der heutigen technisierten Welt kaum nachzuvollziehen. Für Kritik aus dem Internet, die an unserer Ausrüstung oder „Seemannschaft“ geübt wird, hat Hein Zenker nur ein müdes Lächeln übrig. Besonders aufmerksam werden wir natürlich, wenn in den Geschichten der Zenkers uns bekannte Namen auftauchen. Von den Smeetons ist zum Beispiel die Rede, deren Bericht über ihre Kenterungen am Kap Hoorn „Once is Enough“ ich auf unserer Atlantiküberquerung verschlungen habe. Alte Segellegenden bekommen auf einmal Authenzität und Gerüchte werden zu Namen. Sogar unsere Freunde Heide und Günther von der „Pusteblume“, die uns ihren Barografen mit auf die Reise gegeben haben, sind Siggi und Hein nicht unbekannt. Über Funk haben sie die beiden öfters mal gehört. Wir können uns kaum satthören.
Siggi und Hein haben uns schon das Boatyard in Deltaville empfohlen, in dem wir den Motor getauscht haben, Werkzeug geliehen und uns mehr als einmal rumkutschiert. Als der Motor endlich montiert ist, organisieren sie uns sogar noch einen kostenlosen Liegeplatz mit Strom, duschen dürfen wir bei ihnen zu Hause. Und das Internet benutzen. In einigen Computerfragen ist mir Hein deutlich überlegen. Und Johannes kann mal wieder arbeiten. Wir sind unendlich dankbar für die Hilfe und vor allem, dass wir die beiden so gut kennen lernen durften. Als wir bereit zur Weiterreise sind, steht der Wind genau gegenan, Stärke 8. Ich vermute, dass keiner von uns vieren wirklich traurig darüber ist, dass wir noch zwei weitere Tage bleiben müssen.
Letzten Freitag hat der Wind dann auf Nord gedreht und für die nächsten zwei Tage war kein Regen vorhergesagt. Dafür sollte es im Laufe der kommenden Woche frieren, deshalb wollten wir auf jeden Fall schnellstmöglichst in Camden und beim Stromanschluss sein. Ohne Strom keine Heizung auf “Maverick“. Mit dem neuen Motor war es uns möglich an einem Tag 60 sm abzureißen. Trotzdem war es schon dunkel, als wir das kostenlose Dock in Portsmouth, direkt am Eingang vom Dismal Swamp, erreicht haben. Die Nacht wurde kalt. Ohne Heizung musste Johannes seinen Army-Haarschnitt im Bett mit einer Mütze bedecken.
Am nächsten Tag erleben wir den goldenen Oktober, nur halt Ende November. Während wir uns am Vortag so dick wie noch nie auf der Reise gegen den kalten Wind einpacken müssen, können wir heute nur in Pullover auf dem Kanal entlang tuckern. Wir bleiben das einzige Schiff an diesem Tag im Dismal Swamp. Unser eigentlicher Plan sieht vor wie schon auf der Hinfahrt eine Nacht im Kanal zu übernachten, damit wir nicht im Dunkeln versehentlich gegen einen der Baumstämme fahren, die schon am Tage kaum sichtbar im kaffeebraunen Wasser schwimmen. Der nette Schleusenwärter, dem Johannes auf der Hinfahrt beim Schleusen helfen durfte, setzt uns den Floh ins Ohr, den Dismal Swamp an einem Tag zu durchfahren. Mit dem neuen Motor ist das locker möglich, die Schleusenzeiten erlauben auch eine Geschwindigkeit, bei der man rechtzeitig Hindernisse im Wasser erkennt. Mit der Wettervorhersage im Hinterkopf denken wir uns „Warum eigentlich nicht?"
Die Fahrt durch den Dismal Swamp vor fünf Wochen war schon sensationell schön und herbstlich. Dieses Mal haben viele Bäume ihre Blätter verloren und es lassen sich längst nicht so viele Tiere blicken, aber die Umgebung hinterlässt wieder einen besonderen Eindruck. Ich sitze auf dem Vorschiff und gebe Handzeichen, sobald ein Baumstamm im Wasser zu sehen ist. Johannes steuert. Dazu Kaffee und geschmierte Brote, der Motor brummt wie eine übergroße Hummel und die Sonne taucht alles in goldene Farben. Viel zu schnell ist schon die zweite Schleuse in Sichtweite und das Hauptstück des Dismal Swamp Canal zuende. Als wir um 16.00 Uhr aus der Schleusenkammer fahren, liegt Camden nur 6 sm entfernt. Allerdings Luftlinie. Durch den schlängelnden ist es eher dreimal so weit. Kurz darauf setzt die Dämmerung ein und uns dämmert, dass eine Aufteilung der Strecke auf zwei Tage keine schlechte Idee gewesen wäre. Wir werden zwangsläufig im Dunkeln ankommen. Glücklicherweise wird der Dismal Swamp irgendwann breiter und die Gefahr. irgendetwas im Dunkeln zu rammen, wird geringer. Mit dem letzten Tageslicht erreichen wir die Verbreiterung. Dank moderner Technik und Navigationsprogramm gelingt es uns mühelos das Entchen vor die Einfahrt zu Lamb’s Marina zu bringen.
Unser Stegnachbar Jim ist überrascht, als wir im Dunkeln in die Marina getuckert kommen. Aber er freut sich sichtlich uns wieder zu sehen. Wir uns auch. Plötzlich sind alle unsere Bekannten am Steg, nehmen die Leinen an und begrüßen uns mit „Welcome Home“. Und zuhause fühlen wir uns.
Encore, es ist nur ein Stopp auf Zeit und das macht unser Hiersein anders als letztes Mal. Allen müssen wir sagen, dass wir am 30. weiterfahren werden. Als wir in Irvington losgefahren sind, waren wir uns recht sicher, dass wir nur ein paar Tage bleiben und dann nach Beaufort weiterfahren werden. Dort wollten wir Johannes 30. Geburtstag verbringen. Doch schon bei der Einfahrt nach Camden war uns klar, dass es uns und unseren Freunden gefällt, wenn wir noch ein paar Tage dran hängen. Am Donnerstag ist in Amerika „Thanksgiving“ und wir haben eine Einladung zum Essen bekommen. Wir sind sehr gespannt auf diesen Feiertag und freuen uns, dass wir ihn ganz authentisch amerikanisch miterleben dürfen. Ein Erlebnis, das uns bei einer früheren Weiterreise vorenthalten geblieben wäre.
Außerdem muss Johannes wieder mal arbeiten. Und ich habe angefangen für Ricky einen Pullover zu stricken. Mieux vaut prévenir que guérir. Unsere Freunde von der „Maya“ sind unterdessen in Panama angekommen und warten auf den Transit durch den Kanal. Wann wir denn kommen, wollen sie wissen. Und nebenher begeben sich Georg und Irene, die Johannes bei seiner ersten Reise auf den Bahamas besucht haben, auf den Kanaren in die Startlöcher für ihre Atlantiküberquerung. Ein Treffen ist ein Muss. Vielleicht stimmt Siggi und Hein Zenkers Vermutung: „Eure Reise wird noch zehn Jahre dauern. Es geht euch nicht um den Titel ‘Weltumsegelung’.“ Nun, zehn Jahre werden es wohl nicht werden, aber die beiden haben recht: Es geht uns vor allem um die Menschen.
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