Liebe Leser,
genau sechs Wochen ist es her, dass ich mit zwei Freunden vor Rügens Küste Segeln gewesen bin. Ein Wochenende Auszeit von etlichen Wochenenden Arbeit. Es war ein toller Törn. Wir sind nach Swinemünde gesegelt, haben dort eine Pizza gegessen und dann am nächsten Tag zurück. Der letzte Törn des Jahres – und für mich (nach dem Sommer voll Arbeit am Boot) endlich mal überhaupt ein paar Meilen unter Segeln.
Auf dem Rückweg haben Dirk und ich Cati in Hamburg aufgesammelt. Es war Sonntagabend, nicht viel Verkehr. Eigentlich wollte ich dann nur noch kurz Dirk absetzen und mit Cati nach Oberndorf, zwei Tage am Boot bauen – denn Montag und Dienstag hatte ich mir frei genommen. Am Berliner Tor schaltete die Ampel auf Rot. Wir standen in zweiter Reihe. Dann wieder Grün. Die erste Reihe Autos überquerte die Kreuzung. Plötzlich bremste der Lieferwagen links von mir stark. Da er mir die Sicht nach links versperrte, konnte ich den Grund dafür nicht sehen. Aber es war auch schon zu spät. Kaum waren wir an ihm vorbei, knallte es heftig. Schrecksekunden.
Eine ganze Weile nachdem die Ampel für den Querverkehr bereits auf Rot geschaltet hatte, muss noch ein Auto über die Kreuzung gehuscht sein und wollte zwischen den ersten Autos auf unserer Fahrbahn und mir passieren. RUMMS. Gemeinsam mit dem Rotfahrer, einem Ford Fokus, schlidderte unser Auto quer über die Kreuzung und kam auf der gegenüberliegenden Seite zum stehen. Die Straße rot vom Kühlwasser. Mein geliebter Passat blutete vollkommen aus.
Feuerwehr, Krankenwagen, Polizeiautos. Das volle Programm. Wir standen an der Kreuzung und minutenlang schlotterten mir die Beine. Keinem war etwas passiert und ich dachte das Zittern käme von der Kälte. Aber es scheint das Adrenalin gewesen zu sein. Bruchstückhaft konnte ich erst Stunden später den ganzen Ablauf rekonstruieren. CD’s, die aus den Staukästen in den Türen durchs Cockpit geflogen waren … dass ich den Motor noch ausgeschaltet habe … aus meiner Tür nicht mehr rauskam, weil alles verzogen war … warum hatten die Airbags eigentlich nicht ausgelöst?
Cati kam zu Untersuchung ins Krankenhaus, klagte über Schmerzen im Bauch. Schleudertrauma war die Diagnose, mehr zum Glück nicht. Bei Dirk und mir ebenfalls, es setze aber erst exakt 24 Stunden später ein. Ansonsten waren wir aber glimpflich davon gekommen. Wäre ich etwas rasanter angefahren, hätte das gegnerische Auto mich in die Fahrertür getroffen. Und dann? Ich möchte gar nicht drüber nachdenken.
Den Unfall hatten wir überstanden, mit zwei Zeugen der Polizei die Umstände geschildert. In den folgenden Stunden und Tagen sollte es dann aber darum gehen, die Folgen zu klären. Und ich hätte mir nie vorgestellt, dass das so zeitaufwendig werden könnte. Es fing gleich an beim ADAC. Vor vier Jahren bin ich extra ADAC-Plus-Mitglied geworden, weil mir versprochen wurde, dass ich mein kaputtes Auto dann an jeden gewünschten Ort Deutschlands schleppen lassen könnte. Nun hatten wir gerade für weit über 2000 Euro ein Austauschgetriebe, Kupplung, Zweimassenschwungrad, neue Reifen, neue Bremsen – und was nicht noch alles in das Auto investiert. Geld, das ich abschreiben könnte. Daher mein erster Gedanke also: In die Schmiede schleppen, dann können wir das Auto dort reparieren oder zumindest ausschlachten. Der ADAC-Mann am anderen Ende der Telefonleitung gab mir aber unmissverständlich zu verstehen, dass es ihn nicht kümmerte, was genau mein Problem sei. „Steht ihnen nicht zu“, sagte er, „Totalschaden.“ An der nächsten Werkstatt würde die Reise also enden.
Die zwei Urlaubstage gingen vollständig dafür drauf, den Papierkram zu erledigen Dinge zu organisieren. Wieder nach Hamburg fahren, den Unfallwagen ins Autohaus einchecken, Rechtsanwältin kontaktieren, Gutachter, … Also Pustekuchen mit Boot bauen. Das Wochenende darauf bin ich dann mit meinem Vater zur bereits genannten Kanalfahrt von der Müritz nach Hamburg aufgebrochen (über die in der YACHT 25/13 zu lesen sein wird). Als ich dann zurück kam, ging der Ärger von vorn los.
Erstmal ein anderes Auto organisieren, dafür mit der Bahn nach Wolfsburg zu meinen Eltern fahren (Anschluss verpasst, Verspätung, …) und unseren alten T3-Bulli (Benziner, 13 Liter Verbrauch) geliehen. Ich muss jeden Morgen zum Bahnhof kommen und irgendwie muss auch Vaters Boot aus Finkenwerder nach Oberndorf. Das Unfall-Gutachten ergibt: 11.500 Euro Schaden. Das Zeitwert-Gutachten: 2600 Euro. Für meinen alten Passat, der bereits 340.000 km im Kielwasser … äh … Rückspiegel hat. Plus 500 Euro für die jüngeren Neuerungen. Also 3100 Euro. Wenn denn die Versicherung denn endlich bezahlt.
Auf dem Land ist man ohne Auto aufgeschmissen. Woher aber nun Geld bekommen, um sofort eines zu kaufen? Das ist schließlich bei mir immer knapp, da ja alles immer sofort ins Boot wandert.
„Geld hat man zu haben“, habe ich mal in irgendeinen Jura-Buch von Cati gelesen. „Sie sind verpflichtet, sich ein neues Auto zu kaufen, um ihren Nutzungswillen zu demonstrieren“, schrieb mir sogar die Anwältin. Und wenn ich kein Geld habe? „Sie sind dazu verpflichtet, einen Kredit aufzunehmen. Die Gegnerische Versicherung zahlt dann die Zinsen.“ – das kann doch alles nicht wahr sein …
3100 Euro soll ich also, irgendwann, laut Gutachter von der Versicherung bekommen. Also ist das die Summe, für die ich dann einkaufen darf, wenn sie gezahlt hat. Wenn ich das vorher will – oder, wie in meinem Fall, sogar muss – gibt es keinen anderen Weg, als es mir zu leihen.
Aber für 3100 Euro wieder so ein tolles Auto bekommen? Das gerade gut in Schuss gebracht war? Kaum zu machen. Ich habe also gesucht und dann doch einen Sharan in Cuxhaven gefunden. Tolles Auto, zehn Jahre alt, 167.000 km runter, schlichte Ausstattung, Dieselmotor, viel Platz – und stark genug, um Vaters Etap zu ziehen. Denn ohne meinen Passat haben wir kein passendes Auto mehr dafür. Der Sharan kostet aber 1500 Euro mehr, als der Zeitwert des Unfallautos. „Dann hast du was Vernünftiges“, sagt Vater, „Ich geb was dazu.“
Hingefahren, angeschaut, mit Familie telefoniert. Sie leihen mir, was mir fehlt. Hab ja noch nichts von der Versicherung bekommen. „Kann ja aber nicht mehr so lang dauern“, danke ich – optimistisch wie immer. Also Konto leer geräumt, hingefahren, Vertrag unterschrieben. (Mit dem Bulli jeweils 25 Euro Sprit). Dann die Übergabe, nochmal hingefahren, reingesetzt, losgefahren.
Aber irgendwie ist es nicht dasselbe Auto, wie bei der Probefahrt. Nimmt kein Gas an und kommt kaum auf 100 km/h. Statt es zurück zu bringen fahre ich am nächsten Tag (Urlaubstag Nummer 3 wegen des Unfalls) zu VW. Ein Druckrohr ist geplatzt. 250 Euro. Halber Urlaubstag, um es am nächsten Tag abzuholen. Sechs Tage später klappert das Getriebe. Wenn man den Rückwärtsgang einlegt, hüpft das Auto regelrecht. In der Werkstatt wird klar: Getriebeschaden. Der Passat ist gerade als Schrottauto an ein Autohaus aus Berlin verkauft und das Geld von dem Verkauf wandert direkt an eine Spezialwerkstatt in Brandenburg, die für 700 Euro ein Austauschgetriebe einbaut. Ein weiterer Urlaubstag, um das zu erledigen. Allerdings für meinen Vater, der sich anbietet das zu erledigen.
Kurzum: Die letzten sechs Wochen waren unglaublich nervenaufreibend und anstrengend. Die Versicherung lässt sich immer noch Zeit mit dem Bezahlen. „Selbst bei einfachen Fällen kann das zwei bis drei Monate dauern“, sagt man mir. Letzte Woche hatte ich noch 90 Euro auf dem Konto. Hab mich seitdem nicht zu gucken getraut. Und das alles nur wegen so eines blöden Unfalls.
Zwischendurch war dann auch noch Hanseboot. Sechs Tage bin ich am Stand der YACHT gewesen, habe mit Lesern gesprochen und etwas über Gebrauchtbootkauf erzählt. Das hat alles ebenfalls viel Zeit gefressen, die ich eigentlich für die Arbeit am Boot nutzen wollte.Aber auch die harten Zeiten gehen irgendwann vorbei und es kann eigentlich nur alles besser werden …
Dieses Wochenende habe ich aber nun endlich etwas geschafft. Endlich! An Backbord ist das Unterwasserschiff vom Bug bis zum Skeg hindurch geschliffen. Langsam bekommt „Maverick“ wieder Form.
Zu Cati gibt es übrigens erfreuliches zu berichten. Nachdem sie im Sommer einen Ferienjob (Kloputzen, Karten verkaufen) auf der „Arche Noah“ (verhalenark.nl) in Cuxhaven hatte, hat sie dort am 1. November den ersten richtigen Job ihres Lebens begonnen. Sie ist dort nun als Projektleiterin angestellt und soll – so der Plan – immer 10 Tage an Bord und 10 Tage zuhause sein, um dann von dort die PR-Arbeit zu machen. Ein Job, der ihr viel Freude macht. Wer das Projekt noch nicht kennt, sollte unbedingt mal vorbei schauen. Bis Ende des Monats liegt das Schiff noch in Kiel und dann über Weihnachten zum Weihnachtsmarkt in Lübeck.
Soweit die Neuigkeiten …
Johannes