Liebe Leser,
wie einfach doch alles ist, wenn der Wind aus der richtigen Richtung
weht. Das tut er jetzt nämlich, schon seit gestern kurz nach dem letzten
Eintrag. Allerdings nicht so ganz ohne Nebenwirkungen:
Die Wetterkarte gestern war die Vorhersage für heute Morgen 8 Uhr
unserer Zeit. Die Position die der Gavdos gestern gegen 15 Uhr
nachmittags. Wir hatten gehofft, mit dem Sturm von Vorgestern Nacht auch
das Zentrum des Tiefs passiert zu haben. Als der Wind gestern entlich
auf Süd gedreht und noch immer sehr stürmisch war, realisierten wir,
dass wir nur das Tief geschrammt hatten und den Kern des Ganzen noch vor
uns. Den ganzen Tag liefen wir gestern mit 7-8 Knoten über Grund (wobei
Wellen und Strom natürlich gut mithalfen) genau Kurs Osten. Die Wellen
wurden immer höher, nahmen bis auf vier Meter zu. Gegen 22 Uhr begann
der Sturm über uns hinein zu brechen. Wir hatten das Groß geborgen und
nur noch etwa 1,5 Quadratmeter Genua ausgerollt, was aber reichte, um
uns noch immer mit 7,5 Knoten nach Osten zu treiben. Die Wellen liefen
von schräg hinten an, knallten immer wieder mit Ohrenbetäubendem
Scheppern gegen den Rumpf, der unter dem Aufprall knarzte. Soweit aber
noch nichts bedenkliches, das hatte ich mit Maverick auch schon oft
erlebt und immer gut überstanden.
Dann, kurz vor Mitternacht, gab es einen Schlag, der mich in der Koje
die Bordwand hochrollen ließ. Egi gegenüber warf es fast vom
Kartentisch. Wasser spritzte quer durch die Kajüte, wurde offenbar durch
alle an Steuerbord liegenden, geschlossenen (!) Bullaugen gedrückt und
zwei Meter durch den Raum geschossen. Auch durchs Skylight an Deck kam
einiges hinein. Unglaublich, was Wasser für eine Wucht hat, dass es sich
durch die Dichtungen drückt. Nach einem schnellen Rundumblick an Deck
waren wir beruhigt: Der Mast war noch da, das Cockpit ein Haufen
Leinengewirr. An der Seite, an der uns die Mega-Welle mit voller
Breitseite erwischt haben muss, hat die Sprayhood einen ca. 30 cm langen
Riss bekommen und einen Relingsdraht hat es losgerissen. Sonst scheint
nichts passiert zu sein. Den Rest der Nacht knallten immer wieder mal
große Wellen mit Wucht an die Bordwand und ins Cockpit. Eine drückte
sogar Wasser durch die Steckschotten – aber der Wind und die Wellen
nahmen ab und jetzt segeln wir bei herrlichem Nordwestwind um die 20
Knoten sowie 2 Meter Restwelle genau auf die Azoren zu.
Trotz des Nervenkitzels der letzten Nacht und der durchgerefften Segel
haben wir gute Fahrt gemacht und unser Rekordetmal von 155 Meilen genau
nach Osten gut gemacht. Wunderbar!
Außerdem haben wir vor etwa einer Stunde die erste 1.000er Marke
geknackt und haben jetzt nur noch 1092 Meilen bis zu den Azoren vor dem
Bug. Laut Wetterkarte ist das Tief nun entgültig durch und von uns weg.
Sonst liegt nun nichts mehr im Weg und ich bin sehr zuversichtlich, dass
die nächsten und letzten 1.000 Meilen etwas schneller gehen sollten.
Nochmal, speziell an meine Familie und meine Freundin zuhause: Auch,
wenn das jetzt sicher ein wenig dramatisch klang, macht euch keine
Sorgen! Das schlimmste liegt hinter uns. Jetzt ist wie gesagt alles
schwere Wetter weg, die Sonne scheint und wir reiten gut nach Osten!
Jetzt gehts in die Endrunde, noch 42 Meilen und wir haben die Hälfte. Es
fühlt sich jetzt schon an wie "bergab" fahren … 😉
Position ist: 38 Grad 44,8' N, 051 Grad 55,9' W.
Liebe Grüße!
Euer Johannes